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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1958-05/0004
L. Börsig:

Ruinen und düstere Schatten gab es damals,
kaum drei Jahre nach dem schrecklichen Ende
von 1945. Elend, Haß und Hunger hatten die
Herrschaft. Zu der notvollen Pein gesellte sich
die Hoffnungslosigkeit, die wie ein Totenvogel
über dem zerrissenen Land schwebte. Vielleicht
wird das heute nicht gerne gehört, und die
Beschwörung jener dunklen Tage mag manchen
schaudern. Wer freilich den hektischen Wohlstandsbetrieb
von heute näher unter die Lupe
nimmt, zweifelt nicht daran, daß eben dieses
Schauspiel der Erinnerung gelegentlich heilsam
sein könnte. Damals, als wir geschüttelt von der
Faust des Schicksals und verlassen von Gott und
den Menschen schienen, als wir im Heillosen
nach Heilem suchten und mit zerschundenen
Händen mühselig unter den Bergen des Verhängnisses
gruben, damals war es nicht leicht,
an das Licht reiner Menschlichkeit zu glauben,
an jenes Licht, das noch durch die schwarze
Schlucht menschlicher Not und Schuld zu dringen
vermag, weil es einen Ursprung in einem
göttlichen Licht hat, das auch unter den Gewittern
des Bösen niemals verlöscht.

Damals war es, als sich einige Männer im
Hebelland zusammenfanden in der Überzeugung,
daß die Hinführung der Menschen zu Johann
Peter Hebel ein möglicher Weg sei, aus dem
Heillosen in den geistigen Bezirk einer Welt zu
finden, die der Poet der Alemannischen Gedichte,
der Kalendermann und Verklärer der Heimat in
einer so über alle Zeiten und Grenzen hinweg
gültigen Weise gestaltet hat. In Lörrach hatte
man diesen Weg schon begonnen, als in der
Stube des Kunstmalers Julius Kibiger in Auggen
Hebelfreunde aus Müllheim sich zu einem guten
Gespräch zusammenfanden. (Damals gab es noch
Gespräche, zu denen heute niemand mehr Zeit
hat.) Und an einem schönen Sommerabend, der
allen Teilnehmern unvergeßlich bleiben wird,
war es so weit. Eine stattliche Gruppe Frauen
und Männer zog zur Alten Post, von der das
Glöcklein, vorher lange Jahre verstummt, läutete.
In den Räumen dieses Hauses, das Hebel besungen
hat, an der alten Landstraße Basel—Karlsruhe
, dem Lebens- und Schicksalsweg des Dichters
, wurde vor zehn Jahren, am 5. Juni 1948,
der Hebelbund Müllheim gegründet. Was sich
an diesem Abend vollzog, war keine Vereinsgründung
. Es war ein Zusammenfinden von
Wohlmeinenden. Das gab einen so unerwartet
schönen Klang, die Stunde war so voller Heim-
Finden, voller Wärme und Freundlichkeit, daß
sie sich als nicht wiederholbar erwies. Es ist
nicht unsere Sache, jenen Sommer abend poetisch
zu verklären. Dazu wäre ein Dichter aufzurufen.
Auch soll hier nicht die Chronik des Hebelbundes
Müllheim geschrieben werden. Zwar ist
es üblich, anläßlich eines solchen Jubiläums
Daten und Zahlen zu nennen, und unsere heutigen
Manager sind in solchen Fällen auch gleich
mit ausgewachsenen Statistiken zur Hand. Es
wäre übrigens eine recht umfangreiche Arbeit
nötig, um die zehnjährige Arbeit des Hebelbundes
Müllheim in allen Einzelheiten festzuhalten
und zu würdigen. Denn dieser Bund ruhte keineswegs
auf den ersten Lorbeeren aus. Nicht
nur Hebel stand auf seinem Programm, sondern
Heimatpflege und Brauchtum, alemannisches
Lied und oberrheinische Kunst und manches
andere. Bald fanden sich die Markgräfler zu
einem Trachtenfest in Müllheim zusammen, es
gab ein Fest des Alemannischen Liedes, eine
Kunstausstellung, die die Heimat in der Übersetzung
des Malers zeigte, es gab Abende mit
Hermann Burte und Lina Kromer, Hebelfeiern
mit führenden Hebelforschern, es gab so manche
freudvolle Stunden im Kreis der Hebelfreunde.
Nicht immer fand dies alles das rechte Verständnis
. Ein ganz besonderes Verdienst hat sich der
Hebelbund Müllheim mit der Herausgabe der
„Markgrafschaft" erworben. Sie ist, von so manchen
Opfern der Hebelfreunde getragen, schon
längst zu einer Fundgrube für den Heimatfreund
und -forscher geworden. Sie ist mehr als dies.
So lange es dieses Heft gibt, wird auch der
Hebelbund nicht tot sein. Seine Anliegen, seine
vielfältige Arbeit im Dienste der Heimat, sind in
diesen Monatsblättern festgehalten, und auch am
Tage des zehnjährigen Jubiläums wird „Die
Markgrafschaft" die Hebelfreunde in aller Welt
grüßen.

Die Gelegenheit, Rückschau zu halten, soll
hier gleichzeitig auch die Gelegenheit sein, den
künftigen Weg zu überlegen. Von Kritikern ist
dem Hebelbund hie und da der Vorwurf der
„Hebelei" gemacht worden. Nun, niemand ist
frei von Tadel, und der Hebelbund Müllheim ist
sich wohl bewußt, daß auch Gutgemeintes nicht
vollkommen ist. Eines läßt sich vielleicht feststellen
. War vor zehn Jahren noch, als man in
trostloser Zeit begann, eine gewisse öffentliche
Dokumentation notwendig, so wird es heute eine
Vertiefung der Arbeit sein. Die Zeit, in der wir
leben, ist der Stille und der Besinnung nicht
günstig. Aber es gibt genug Zeichen dafür, daß
gerade der wertvolle Mensch dankbar ist, wenn
er die Möglichkeit erhält, Dingen zu begegnen,
die weniger laut, dafür aber um so wesentlicher
sind. Zu diesen Dingen aber zählen die Verse
und Geschichten Hebels, zählen Gedicht und
Prosa aller, die aus Mundart und wurzelechtem
Heimatgefühl schaffen, zählen ebenso Gegenwart
und Geschichte unserer alemannischen Dörfer
und Städte. Sie zu interpretieren, ihre geheimen
Schätze zu heben, sollte der Hebelbund nicht
müde werden. Hier wartet ein weites und tiefes
Feld der Bearbeitung. Und heute wie vor zehn
Jahren sind Gutmeinende gerufen mitzuhelfen.
Man wird diese Arbeit freilich nicht im grellen
Rampenlicht lärmender Kundgebungen vollbringen
können. Man wird aber in der besinnlichen
Stille einen Hausgenossen neben sich
haben, der treu und verläßlich ist wie eh und
je: Johann Peter Hebel selbst.

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